«Thor sah sich als Wissenschaftler und nicht als Abenteurer»

Interviews mit Olav Heyerdahl & Pal Hagen
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© Tanja Lipak

Bäckstage traf Olav, den Enkelsohn des grossen Forschers und Abenteurers Thor Heyerdahl, zusammen mit Pal Sverre Hagen, der Thor im Film «Kon-Tiki» verkörpert, zum Gespräch. Wir erfuhren dabei einiges über Thor Heyerdahl als Familienmensch, die Verschmutzung des Pazifiks und wie es sich anfühlt, bei einer Golden-Globes- und Oscar-Verleihung dabei zu sein.

 

Olav Heyerdahl, wie war die Beziehung zwischen Dir und Thor Heyerdahl, deinem berühmten Grossvater?

Obwohl er für die Welt ein sehr berühmter Mann war, war er für mich in erster Linie mein Grossvater. Wir hatten eine gewöhnliche Enkel-Grossvater-Beziehung. Er lebte nicht lange in Norwegen, aber er kam uns an Weihnachten und zu Ostern immer besuchen, oder wir reisten zu ihm.

 

Wie wichtig war ihm die Familie? Im Film muss er sich zwischen seinem Abenteuer und dem Familienleben entscheiden.

Als er älter wurde, nahm die Familie einen anderen Stellenwert in seinem Leben ein. Aber wie im Film zu sehen ist, war er überhaupt kein Familienmensch als er jünger war. Um das zu erreichen, was er geschafft hat, musst du ein grosses Ego haben. Deshalb war er wohl auch vier Mal verheiratet (lacht). Er hat seine Frauen irgendwie abgenutzt. Es war praktisch unmöglich mit ihm mithalten zu können. Er sah auch nie nach hinten, sondern konzentrierte sich nach vorne, auf die Zukunft, auf seine nächsten Projekte, seien es Expeditionen, Bücher oder was auch immer. Er lebte ein sehr abenteuerliches Leben. Und trotzdem hasste er es als Abenteurer abgestempelt zu werden. Er sah sich vielmehr als ernstzunehmender Wissenschaftler. Aber er würde sicherlich zustimmen, dass er eine abenteuerlustiges Leben führte.

 

Du hast die gleiche Fahrt wie dein Grossvater gemacht und stachst 2006 ebenfalls mit einem Floss von Peru aus ins Meer. Was hat Dich dazu bewogen?

Ich steckte nicht hinter dieser Idee. Ich schrieb gerade meine Abschlussarbeit in Kapstadt, als ich die E-Mail eines norwegischen Journalisten erhielt. Für ihn war mein Grossvater ein Idol seit Kindertagen. Er fragte mich, ob ich die Expedition meines Grossvaters wiederholen möchte. Es war schwer «nein» zu sagen, da mein Nachname mich irgendwie dazu verpflichtet. Für mich war es essentiell, dass die ganze Familie dahinterstand. Dass es ein Projekt war, welches mein Grossvater schätzen würde, wäre er noch am Leben. Als ich mich in dieses Projekt involvierte, war mir sofort klar, dass ich zum Frontmann gemacht werden würde. Die Medien sind nun mal an meinem Nachnamen und daran, für was er steht, interessiert. Deshalb stand für mich schnell fest, dass ich diese Expedition wagen würde, obwohl es keine leichte Entscheidung war. Es war unmöglich «nein» zu sagen, aber es war zugleich schwer «ja» zu sagen. Es war eine grosse Reise für mich, aber auch für das Vermächtnis meines Grossvaters. Wie Du weisst, drifteten sie am Schluss am Riff in Polynesien. In den Jahren danach studierte meine Grossvater weiter und fand heraus, dass die antiken Flosse damals ein besseres Steuerungstool benutzt haben mussten als sie während ihrer Mission. Wir bauten für unsere Reise dieses Steuerungselement auch ein. Wir durchquerten die gleiche Route wie sie damals, nur schneller.

 

 «Das Meer ist überfischt und zugemüllt, das wurde durch unsere Expedition deutlich.»

 

Welche Erfahrungen hast Du bei der Reise für dich selbst mitgenommen?

Ich habe viel über mich selbst gelernt. Eine der schwierigsten Sachen war jedoch die Rückkehr nach Norwegen. Die Rückkehr zur Normalität. Die Landung ist schwer, wenn du weisst was ich meine. Wenn man nach all den Strapazen und Erlebnissen sich zuhause befindet, ist das seltsam, weil sich dort nicht viel verändert hat, während du selber dich doch sehr verändert hast. Ich bin als Mensch daran sehr gewachsen, ich kenne mich selbst nun viel besser. Ich weiss nun, was ich physisch und mental aushalten kann. Es war nämlich genauso eine geistige Herausforderung wie auch eine körperliche. Denn wir waren zu sechst auf einem engen Raum für über 90 Tage.

 

Welche Gefahren sind Euch bei Eurer Reise dabei begegnet? Haie, Wale und Orkane?

Der zweite Grund für unsere Expedition war es zu zeigen, wie sich die Natur in den letzten 60 Jahren verändert hat. Die Kon-Tiki stach 1947 ins Meer und wir 2006. Wir nahmen das persönliche Tagebuch meines Grossvaters mit sowie sein Logbuch. So konnten wir Vergleiche aufstellen, über das was wir sahen, den Wind, das Meer. Es war furchtbar ansehen zu müssen wie viel Plastikabfall sich im Meer angesammelt hat. 1947 gab es überhaupt kein Plastik im Pazifik, nun trifft man vermehrt auf regelrechte Plastikinseln. Damals gab es auch so viele Haie, dass die Jungs nicht mal im Meer schwimmen konnten. Bei unserer Expedition hingegen sahen wir nur vier Haie. Die Jungs haben damals auch jeden Tag Thunfisch gegessen, wir aber nur einmal. Das Meer ist überfischt und zugemüllt, das wurde durch unsere Expedition deutlich.

 

Wie hast Du Dich bei der Filmproduktion eingebracht? Was ist Dein Beitrag?

Zum einen habe ich mitgewirkt, indem ich das Floss gebaut habe (Olav ist Hoch- und Tiefbauingenieur, Anmerkung der Redaktion). Das Floss im Film ist eben genau jenes, das ich 2006 für die Expedition baute. Wir machten es jedoch ein wenig kleiner, da unser Floss ja grösser gebaut wurde als jenes meines Grossvaters. Zum anderen habe ich viel mit den Darstellern und Regisseuren gesprochen, diente als persönlicher Berater. Erzählte ihnen, wie es sich anfühlt, isoliert im Pazifik zu treiben, wie es das Gehirn beeinflusst und die Beziehungen in der Crew neu definiert. Wir hatten nämlich keine grossen Streitigkeiten gehabt damals, dafür gab es wortwörtlich keinen Platz.

 

Das original Kon-Tiki Floss im Jahr 1947 (© DCM Distribution)

 

Nun zu Pal Sverre Hagen. Was hat Dich daran gereizt, Thor Heyerdahl zu verkörpern?

Alle Norweger kennen Thor Heyerdahl. Er ist ein grosser Teil der norwegischen Kultur. Als der Film ins Rollen kam, war ich deshalb natürlich sehr daran interessiert ein Teil davon zu werden. Die Produktion an sich war schon spektakulär, die Geschichte zudem unglaublich, aber wahr. Thor ist zudem ein sehr interessanter Charakter. Es ist schon eine seltsame Herausforderung, eine Person darzustellen, die wahrhaft existiert hat und die so vielen Menschen etwas bedeutet, und sie in einen Filmcharakter zu verwandeln.

 

Wie hast Du Dich vorbereitet? Haben Dir die Aufnahmen  von Thor geholfen?Auf alle Fälle. Er lebte ein sehr gut dokumentiertes Leben. Es gibt viele Bücher, die von ihm oder über ihn geschrieben wurden. Aber es gibt auch viele Filmaufnahmen, die ihn zeigen. Viele dieser Filmmaterialen wurden jedoch von Thor selbst bearbeitet. Er war ein sehr guter Geschichtenerzähler und er war sehr gut im Umgang mit PR (Olav neben ihm lacht). Er war immer zuständig für seine eigene Geschichte. Dieses ganze Material war zwar wichtig und interessant, aber was mich wirklich näher an Thor brachte, waren die Gespräche mit Menschen, die ihn kannten und ihm nahe standen. Das war ebenfalls eine gewisse Herausforderung, da ich mit sehr vielen Personen gesprochen habe, die behaupteten, Thor wirklich gut gekannt zu haben und doch gaben sie mir alle sehr unterschiedliche Aussagen über Thor als Person. Ich musste deshalb bestimmte Entscheidungen treffen, wie ich ihn porträtieren wollte. Thors Sohn, Thor Heyerdahl Junior (Olavs Vater), wurde zu meiner wichtigsten Quelle. Für mich waren nicht nur die Informationen relevant, die er mir über seinen berühmten Vater gab, sondern auch ganz einfach die Art und Weise wie er war. Das hat mich stark inspiriert.

 

Wie viel Abenteurer oder Forscher steckt in Dir? Würdest Du den gleichen Trip machen?

Es zum aller ersten Mal machen, wie die Männer damals im 1947? Ich denke eher weniger. Nein.

Olav meldet sich zu Wort: Aber nun, da Du weisst, dass es machbar ist?

Pal: Nun würde ich es ganz klar machen, kein Problem (alle lachen). Es zum ersten Mal zu tun ist schon eine völlig andere Sache.

Olav: Es ist auch schwer sich nun vorzustellen, wie es damals gewesen sein musste, als niemand an den Erfolg geglaubt hatte. Mein Grossvater konnte ja nicht einmal schwimmen. Er hat wirklich zu 100% an seine Theorie geglaubt. Aber sich in seine damalige Situation hineinzuversetzen ist schwierig, zu verstehen wie er den Mut aufbringen konnte, für eine derart waghalsige Mission. Heutzutage ist es eine andere Sache in See zu stechen, wenn man weiss, dass es funktioniert hat.

Pal: Und weiss, dass das Floss nicht sinken wird (lacht).

 

Pal Sverre Hagen als Thor Heyerdahl im Kinofilm Kon-Tiki (© DCM Distribution)

 

War es eigentlich problematisch diesen Film zu finanzieren? Die Produktion war sehr aufwendig.

Pal: Es war sehr schwer. Dieses Projekt befand sich nun schon fast 16 Jahre in der Herstellung. Am Anfang war es für mehrere Jahre ein Hollywood-Projekt. Dann entschloss sich der Produzent Jeremy Thomas, das Ganze zurück nach Norwegen zu bringen und norwegische Regisseure und Schauspieler zu engagieren. Mit der Produktionsfirma DCM, die von Schweizern gegründet wurde, kam auch das nötige Finanzierungsgeld ins Projekt. Ich weiss nicht, was ohne ihre Unterstützung aus dem Projekt geworden wäre. Sie waren die Keyplayers.

 

Wie hast Du die körperliche Transformation vom gepflegten Dandy zum zerzausten Robinson-Crusoe empfunden?

Sonne und Selbstbräuner haben mir geholfen (lacht). Wir mussten storytechnisch nach vorne und dann wieder zurück gehen, da wir nicht primär chronologisch gedreht haben, deshalb konnten wir uns keine echten Bärte wachsen lassen. Ich persönlich genoss den freien unbekümmerten Style auf dem Floss und im Dschungel am meisten. Ich liebte es.

 

Welcher der vielen Drehorte wie Göteborg, Malte Khao Lak in Thailand oder North Atoll auf den Malediven hat Dir am meisten gefallen?

Das offene Meer hat mich am meisten fasziniert. Und obwohl es nicht der Pazifik war, war es trotzdem überwältigend.

 

Bei der Version des Films, die für den Oscar und die Golden Globes nominiert war, handelte es sich um die norwegische Version.

 

Der Film ist in den Schweizer Kinos auf Englisch zu sehen. Anfang Jahr aber war er als bester fremdsprachiger Film bei den Golden Globes und für den Oscar nominiert. Wie kommt das?

Der Film wurde in zwei Versionen gedreht. Eine auf Norwegisch und die andere auf Englisch. Das ist sehr selten. Bei der Version, die für den Oscar und die Golden Globes nominiert war, handelte es sich natürlich um die norwegische Version. Anderenfalls hätte der Film nicht nominiert werden können. Die Entscheidung für diese beiden Versionen hat sicherlich damit zu tun, dass der Film nun leichter an Filmverleiher weltweit verkauft werden konnte.

 

Habe ich das richtig verstanden, es wurden also jeweils immer zwei Aufnahmen gedreht, oder habt ihr den Film nur auf Englisch synchronisiert?

Nein, es wurden tatsächlich immer zwei Varianten abgedreht.

 

Aber dann sehen wir nicht die identischen Szenen in den beiden Versionen.

Ja, das stimmt (lacht). Die Versionen unterscheiden sich so ein klein wenig.

Olav meldet sich erneut zu Wort: Welche Version wird hier gezeigt?

 

An der Pressevisionierung sah ich die englische Version. Eine interessante Wahl, weil das Schweizer Publikum sonst eigentlich gewohnt ist Filme mit Untertiteln zu sehen.

Olav: Hmm, die norwegische Version wäre vielleicht keine schlechte Idee gewesen, aber okay.

 

Pal, warst Du in Hollywood während der berühmt berüchtigten fünften Jahreszeit, der sogenannten Awards-Season? Warst Du an der Oscar-Verleihung?

Ja, ich war dort (lacht).

 

Und wie war es?

Es ist natürlich ein regelrechter Zirkus. Aber wer eine richtig gute Party erleben möchte, muss an die Golden Globes Verleihung gehen. Für diese Verleihung sollte man nominiert sein, wenn man etwas erleben möchte. Das Ganze ist viel informeller als die Oscar-Verleihung. Es findet in einem kleinen Saal statt und jeder hat eine super Zeit, ist guter Dinge. Alle feiern zusammen.

 

Hast Du Dich bestimmten Leuten vorgestellt?

Ja, klar. So laufen die Dinge nun mal. Es herrscht ja auch eine sehr relaxte Atmosphäre. Es ist sehr faszinierend mit all diesen bekannten Gesichtern, die doch so viele prägende Filme geschaffen haben.

 

Kon-Tiki wurde unter anderen von TWC (The Weinstein Company) gekauft, welche den Film in Nordamerika ins Kino bringen wird. Wäre Hollywood der nächste Schritt für Dich?

Diese Frage zu beantworten ist natürlich unmöglich. Man weiss nie was im Leben passieren kann, wie sich die Dinge entwickeln. Ich bin froh darüber, dass die Weinsteins den Film gekauft haben, sie werden dem Film sehr vieles in Amerika ermöglichen.

 

Die Filmkritik zu «Kon-Tiki» findet ihr HIER.

Tanja Lipak / Di, 30. Apr 2013